ETH-Forscher bauten nach digitalem Vorbild menschlichen Zellen zwei Rechnerkerne aus biologischen Materialien ein. (Grafik: Colourbox/Steven Emmett, ETH Zürich)
Schon lange gehört es zu den grossen Zielen der Synthetischen Biologie, die Aktivität von Genen mit Rechenschaltungen nach digitalem Vorbild zu steuern. In der Digitaltechnik werden sogenannte logische Gatter verwendet, um Eingangssignale zu verarbeiten. Sie ermöglichen beispielsweise Schaltungen, bei denen beide Eingangssignale A und B gleichzeitig vorhanden sein müssen, damit das Ausgangssignal C produziert wird.
Bislang versuchten die Biotechnologen solche digitalen Schalter mit Hilfe von Protein-Gen-Schaltern in Zellen nachzubauen. Diese hatten jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie waren wenig flexibel, liessen nur einfache Programmierungen zu und konnten jeweils nur ein einziges Eingabesignal, zum Beispiel ein bestimmtes Stoffwechselmolekül, verarbeiten. Komplexere Rechenvorgänge sind deshalb in Zellrechnern nur bedingt möglich, anfällig und stürzen häufig ab.
Zwar kennt auch die digitale Welt Schalter, die nur auf einer einzigen Eingabe beruhen, nämlich Elektronen. Die elektronischen Schalter machen dies jedoch durch ihre Geschwindigkeit wett: Sie werden bis zu einer Milliarde mal pro Sekunde angesteuert. Verglichen damit sind Zellen langsamer. Dafür können sie bis zu 100’000 unterschiedliche Stoffwechselmoleküle pro Sekunde als Eingabe verarbeiten. Bisherige Zellrechner konnten diese enorme metabolische Rechenkapazität einer menschlichen Zelle allerdings nicht annähernd ausschöpfen.
Eine CPU aus Biobauteilen
Ein Team von Forschern um Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, hat nun einen Weg gefunden, einen zentralen Prozessor, die «central processing unit» (CPU) aus biologischen Bauteilen zu konstruieren, die flexibel und vielseitig programmierbar ist. Der von den ETH-Wissenschaftlern entwickelte Prozessor beruht auf einem modifizierten Crispr/Cas-System und kann beliebig viele Eingaben in Form von RNA-Molekülen (sogenannter Leit-RNA) verarbeiten.
Den Kern des Prozessors stellt eine spezielle Variante des Cas9-Proteins dar. Die CPU reguliert als Antwort auf die Eingabe durch Leit-RNA-Sequenzen die Aktivität eines bestimmten Gens, sodass das zugehörige Protein hergestellt wird. Damit konnten die Forscher in menschlichen Zellen skalierbare Schaltnetze programmieren, welche wie digitale Halbaddierer aus zwei Eingängen und zwei Ausgängen bestehen und zwei einstellige Binärzahlen addieren können.
Leistungsfähige Mehrkern-Datenverarbeitung
Die Wissenschaftler gingen sogar noch einen Schritt weiter und schufen analog zur digitalen Welt einen biologischen Dual-Core-Prozessor, in dem sie zwei Rechnerkerne in eine Zelle einbauten. Dazu verwendeten sie Crispr/Cas-Einheiten von zwei unterschiedlichen Bakterien. «Damit haben wir den ersten Zellcomputer mit mehr als einem Rechnerkern geschaffen», freut sich Fussenegger.
Dieser Biocomputer ist nicht nur extrem klein, sondern im Prinzip auch beliebig skalierbar. «Man stelle sich ein Mikrogewebe mit mehreren Milliarden Zellen vor, und jede davon verfügt über einen Dual-Core-Prozessor. Solche «Rechenorgane» könnten eine theoretische Rechenkapazität erreichen, welche diejenige eines digitalen Supercomputers bei weitem übertrifft, und das mit einem Bruchteil der Energie», sagt Fussenegger.
Anwendungen in der Diagnostik und Therapie
Ein solcher Zellcomputer könnte dazu verwendet werden, biologische Signale aus dem Körper, wie gewisse Stoffwechselprodukte oder Botenstoffe wahrzunehmen, sie zu verarbeiten und wunschgemäss zu reagieren. Programmiert man die CPU entsprechend, könnten die Zellen zwei verschiedene Biomarker als Eingangssignale wahrnehmen. Ist nur Biomarker A vorhanden, dann reagiert der Biocomputer mit der Bildung eines diagnostischen Moleküls oder eines Wirkstoffs. Registriert der Zellcomputer nur Biomarker B, dann löst er die Bildung eines anderen Wirkstoffs aus. Sind beide Biomarker vorhanden, dann erzeugt dies eine dritte Reaktion. Angewendet könnte dies in der Medizin, zum Beispiel zur Behandlung von Krebs.
«Wir könnten zudem Rückkopplungen einbauen», betont der ETH-Professor. Sei beispielsweise Biomarker B über längere Zeit in einer gewissen Konzentration im Körper vorhanden, dann könnte das auf die Bildung von Krebsmetastasen hindeuten und der Biocomputer würde dementsprechend einen Wirkstoff bilden, der speziell diese bekämpft.
Mehrkernrechner machbar
«Ganz so revolutionär wie sich dieser Zellcomputer anhört, ist die Sache nicht», betont Fussenegger. «Unser menschlicher Körper ist bereits ein einziger Grosscomputer. Der Stoffwechsel des Körpers beruht seit jeher auf Rechenleistungen von Billionen von Zellen.» Sie nehmen laufend Informationen aus der Umwelt oder von anderen Zellen auf, verarbeiten die Signale und reagieren entsprechend, sei es durch das Ausschütten von Botenstoffen oder auch indem sie Stoffwechselwege in Gang setzten. «Und dieser Grosscomputer braucht anders als ein technischer Supercomputer nur eine Scheibe Brot als Energie», sagt der Forscher.
Quelle: ethz.ch