Der Einsatz von Agrargiften in der konventionellen Landwirtschaft nimmt kontinuierlich zu. Die Bekämpfung von Unkräutern, Schadinsekten und Pflanzenkrankheiten mit Pestiziden ist integraler Bestandteil von Acker-, Gemüse- und Obstbau.
Ohne Agrochemie – so will es uns die ChemieIndustrie glauben machen – wäre die moderne Nahrungsmittelproduktion nicht möglich.
Doch die ökologische Landwirtschaft beweist es: Pflanzliche Produktion funktioniert auch ohne die chemische Keule – auch wenn das nicht immer einfach ist. Der Griff in den Chemiebaukasten ist schneller getan und viel billiger als beispielsweise die mechanische Kontrolle der Äcker: Unkräuter lassen sich auch mit Pflug, Hacke oder Striegel in Schach halten. Fruchtfolgemaßnahmen, also der abwechselnde Anbau unterschiedlicher Pflanzen, können ebenfalls einen wichtigen Effekt haben.
Gifte gegen Pflanzen, Insekten, Pilze und mehr
Pestizide gibt es gegen praktisch alle biologischen Konkurrenten und Schädlinge unserer Kulturpflanzen. Am häufigsten eingesetzt werden Herbizide gegen Unkräuter, Insektizide gegen Schadinsekten und Fungizide gegen pilzliche Krankheiten. Doch auch Molluskizide gegen Schnecken, Rodentizide gegen Schadnager wie z. B. Feldmäuse, Nematizide gegen Fadenwürmer und weitere Mittel stehen zur Verfügung.
Einige Mittel werden zudem zu anderen als ihren eigentlichen Zwecken eingesetzt: Fungizide können hormonell wirksam sein und dadurch Halmbruch im Getreide vorbeugen. Für Getreide stehen auch Wachstumsregulatoren zur Verfügung, die die Länge von Getreide reduzieren – die Bestände werden sozusagen „kurzgespritzt“, um die Gefahr des Umfallens bei Wind und Regen zu minimieren.
Auch Herbizide – unter ihnen etwa Glyphosat, die weltweit populärste Chemikalie im Ackerbau – setzen Landwirte seit einigen Jahren zu anderen Zwecken ein: Im Anbau mit wenig Bearbeitung des Bodens ersetzen Herbizide zunächst die wichtigste Wirkung des Pflügens: die Unkrautkontrolle. Zur Anwendung kommen sie jedoch außerdem kurz vor der Ernte: Das Totspritzen von Getreide oder Raps soll die Ernte erleichtern, indem es die Feuchtigkeit des Erntegutes und damit die Trocknungskosten senkt. Ebenso wird bei Kartoffeln mit Herbiziden gearbeitet: Die behandelten Knollen entwickeln festere Schalen. Außerdem verhindert das Abspritzen, dass Viren über Blätter und Pflanze in die Kartoffeln gelangen. Diese Anwendung ist verzichtbar: Eine Ernte zum optimalen Zeitpunkt, ein ausreichender Abstand der Pflanzen voneinander oder eine mechanische Entfernung des Blattwerks bei Kartoffeln erfüllen dieselbe Funktion – ohne riskante Chemie.
Eingesetzte Gesamtmenge auf konstant hohem Niveau
Im Jahr 2013 waren in Deutschland 269 Wirkstoffe zugelassen, die unter 1407 Handelsnamen vertrieben wurden. Die abgesetzte Gesamtmenge belief sich auf über 43.000 Tonnen. Seit Jahren schwankt dieser Wert leicht, bewegt sich aber immer um 40.000 Tonnen – mit leicht steigender Tendenz. Knapp 18.000 Tonnen entfielen auf Herbizide, Fungizide schlugen mit gut 10.000 Tonnen zu Buche und Insektizide mit 1.000 Tonnen. Den Rest machten andere Mittel aus.
Flächenbezogen steigt der Pestizideinsatz, denn die konventionelle landwirtschaftliche Nutzfläche nimmt langsam aber kontinuierlich ab. Dennoch sind die reinen Absatzmengen nur Hilfswerte, denn die Wirksamkeit einzelner Wirkstoffe ist sehr unterschiedlich: Während beispielsweise von Glyphosat einige Kilogramm pro Hektar ausgebracht werden müssen, sind etliche Insektizide in sehr viel niedrigeren Dosen, im Grammbereich, hochwirksam.
Einsatz auf der Fläche nimmt immer weiter zu
Eine hohe Aussagekraft hat die Behandlungshäufigkeit, das heißt die Anzahl der durchgeführten Pestizid-Anwendungen auf der jeweiligen Anbaufläche. Im Jahr 2011 wurden Kartoffeln durchschnittlich 8,6 Mal gespritzt, Raps und Zuckerrüben etwa 5 Mal und Getreide etwa 3,5 Mal. Da jedoch häufig mehrere Mittel gleichzeitig in einer Tankmischung ausgebracht werden, kann die Behandlungsintensität deutlich höher liegen.
Dieser Tatsache wird mit der Erfassung des sogenannten Behandlungsindex Rechnung getragen: Er bezeichnet die Anzahl der angewandten Pestizide bezogen auf die zugelassene Menge und die Anbaufläche. Beispiel: Ein Wert von 10 bedeutet, dass 10 Mittel mit jeweils 100 Prozent der empfohlenen Aufwandmenge gespritzt wurden – im Extremfall wäre das bei einer einzelnen Überfahrt möglich gewesen. Die Behandlungshäufigkeit wäre dann 1 gewesen. Die Behandlungsindizes liegen daher in der Regel über der Behandlungshäufigkeit. Für Kartoffeln lag der Index 2011 bei 10,8, für Raps bei über 6 und für Getreide einen halben Punkt über der Behandlungshäufigkeit.
ber die letzten Jahre ist so eine gesteigerte Intensität des Pestizideinsatzes ablesbar: Lag der Index im Jahr 2000 für Kartoffeln bzw. Raps bei 8,5 bzw. 3,4, so war er 13 Jahre später (2013) mit 11,2 bzw. 6,6 deutlich höher – eine Tendenz die bei allen Kulturarten erkennbar ist.3+4
Traurige Spitze des Spritzens
Äpfel Auch der Obstbau macht keine Ausnahme beim Pestizideinsatz – ganz im Gegenteil. Beispielhaft sei der Anbau von Äpfeln genannt. In Deutschland nimmt der Apfelanbau knapp die Hälfte der für den Anbau von Baum- und Beerenobst verwendeten Fläche ein, etwa 31.000 von 65.000 Hektar.
5 In den Jahren 2011 bis 2013 lag der Behandlungsindex im Apfelanbau bei 32, zehn Jahre zuvor war er bei 28. Am häufigsten kommen Fungizide zum Einsatz, vielfach zur Behandlung von Apfelschorf (Index 2013: 25,7). Herbizide (Index 1) und Insektizide (Index etwa 5) werden deutlich weniger eingesetzt. Doch auch ihre Anwendung ist gängige Praxis.
Gift in Obst, Gemüse und der Umwelt
Der Pestizideinsatz in Acker-, Obst- und Gemüsebau bleibt nicht ohne Folgen. Die Auswirkungen auf die Gesundheit von Anwendern und Konsumenten, aber auch auf die Umwelt, sind massiv und in ihrer letzten Konsequenz kaum abschätzbar.
In Obst, Gemüse und anderen pflanzlichen Erzeugnissen fanden sich in Untersuchungen im Jahr 2013 in 2,4 Prozent der Proben mehr Rückstände, als die gesetzlichen Höchstmengen vorsehen. Dieser Wert entspricht laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) dem der Vorjahre.
Einzelne Produkte sind die Aufnahme von Pestiziden und damit für Rückstände deutlich auffälliger als andere, beispielsweise Bohnen, Kräuter, Tee oder Paprika.
Es steigt allerdings der Anteil getesteter Produkte, die Mehrfachrückstände aufweisen: Ebenfalls im Jahr 2013 war in über 27 Prozent des untersuchten Obst und Gemüses in der EU mehr als ein Pestizid nachweisbar. Wie Pestizide in unseren Lebensmitteln miteinander wirken oder die Bewertung der Langzeitwirkung, ist praktisch unmöglich, Mehrfachbelastungen – Cocktails – sind daher besonders bedenklich.
Zwar haben die Produzenten gelernt, wie sie Höchstmengen von Rückständen und damit das Verbot ihrer Produkte vermeiden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Umwelt weniger Giften ausgesetzt wird.
Die Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft wird durch die Struktur der Landwirtschaft und den alltäglichen Einsatz von Pestiziden massiv belastet, beispielsweise in betroffenen Gewässern.9 In Flüssen und Seen ist die Pestizidbelastung dabei höher als lange angenommen: Bei untersuchten Wasserproben lag weltweit bei mehr als 40 Prozent der nachgewiesene Wert von Insektiziden über dem, der laut Zulassungsverfahren erlaubt gewesen wäre. 10 Für viele Länder und landwirtschaftlich genutzte Räume fehlen auswertbare Daten zur Pestizidbelastung von Gewässern – so auch für Deutschland.
Milliardengeschäft Agrochemie
Die Umwelt, Landwirte und Verbraucher leiden unter dem giftigen Alltag auf unseren Feldern. Doch es gibt selbstverständlich auch Profiteure: Die Umsätze mit Pestiziden bescheren den AgrochemieKonzernen sichere Umsätze. Im Jahr 2013 wurden weltweit über 38 Milliarden Euro mit Pestiziden umgesetzt, allein ein Viertel davon in der EU. Der deutsche Inlandsabsatz lag bei über 1,5 Milliarden Euro. Alle Zahlen steigen seit Jahren an.
Zwei deutsche Weltkonzerne profitieren maßgeblich vom Gifteinsatz auf dem Acker: Bayer Crop Science musste sich 2012 beim Absatz von Agrochemikalien mit 9,5 Milliarden Dollar nur knapp dem Schweizer Weltmarktführer Syngenta mit 10,3 Milliarden Dollar geschlagen geben. An dritter Stelle liegt die deutsche BASF, gefolgt von DuPont und Monsanto (das seit 2018 BAYER gehört).
Ursachensuche: Warum „muss“ gespritzt werden?
Die Unkraut-, Schädlings- und Krankheitsprobleme des industriellen Anbaus sind größtenteils hausgemacht. Monokulturen ohne Anbauwechsel auf viel zu großen Flächen ohne Rückzugsräume für Nützlinge, zu dichte Bestände und die einseitige Wahl anfälliger Hochertragssorten sind wesentliche Ursachen. Und auch die eingesetzten mineralischen Düngemittel tragen eine Mitschuld: Sie machen Pflanzen attraktiver, sowohl für Insekten als auch für pilzliche Krankheiten.
Die Struktur der Kulturlandschaft und der Einsatz der Insektizide selbst verschärfen die Problematik: Nützlichen Insekten und anderen Schädlingsantagonisten wie z. B. Vögeln fehlen nicht nur der Lebensraum, sondern auch die Nahrung, wenn auf den Feldern außer den Kulturpflanzen alles Leben getötet wird. So können sich keine Gleichgewichte zwischen Nützlingen und Schädlingen für die Landwirtschaft einstellen. Werden beispielsweise Blattläuse sehr früh chemisch bekämpft, können sich die zur selben Zeit getroffenen Nützlinge das ganze Jahr über davon nicht wirklich erholen. In der Folge entwickeln sich die Läuse unkontrolliert weiter und es wird immer mehr gespritzt: ein giftiger Kreislauf.
Unter ihm leidet auch die ökologische Landwirtschaft, denn die natürlichen Regelungsfunktionen und damit kostenfreien Maßnahmen des Ökosystems funktionieren in großen Räumen sehr viel besser als in kleinen. Von einem reduzierten Pestizideinsatz profitieren daher am Ende alle: konventionelle und ökologische Landwirtschaft, die Natur, Anwender und Verbraucher.
Landwirtschaft kann und wird nur ohne Gift funktionieren
Die Interessenvertretungen der Agrochemie-Industrie wollen glauben machen, dass es ohne ihre Produkte nicht geht.13 Doch einen sicheren Einsatz von Pestiziden gibt es nicht. Die Zukunft der Landwirtschaft kann deshalb nur in einer ökologischen Arbeitsweise liegen. Landwirtschaft mit, statt gegen die Natur erlaubt den Verzicht auf Agrargifte.
Ein Verzicht, der in jeder Hinsicht sinnvoll ist: Pestizide bedrohen nicht nur Artenvielfalt, Böden und Gesundheit, sie werden auch nicht unendlich zur Verfügung stehen. Immer mehr Schädlinge und Unkräuter entwickeln Resistenzen gegen die gegen sie eingesetzten Mittel, diese werden daher unwirksam. Neue Wirkstoffe werden kaum noch entdeckt, neue Produkte erschöpfen sich in neuen Formulierungen vorhandener Chemikalien oder der Kombination mehrerer Gifte.
Parallel werden Pestizide, die lange Zeit als sicher bewertet wurden, aufgrund neuer Einschätzung ihrer Umwelt- oder Humantoxizität aus dem Verkehr gezogen. Die Agrochemie-Industrie betreibt ein Rückzugsgefecht, das leider viel zu lukrativ ist, als dass die einzige Alternative ÖkoLandwirtschaft eine Chance bekäme.
Dabei ist Ökologische Landwirtschaft ohne Chemie mehr als eine Alternative zum chemischen Alltag auf unseren Feldern: Mittelfristig ist sie der einzig gangbare Weg. Je schneller wir ihn einschlagen, desto mehr Schäden an unseren Ökosystemen können wir verhindern. Und umso eher können wir unsere Lebensmittel zukunftsfähig erzeugen – nachhaltig vom Acker bis zum Teller.
UNSER PLANET fordert:
• Landwirtschaft ohne chemisch– synthetische Pestizide
• Sofortige Verbote für besonders umwelt- und gesundheitsgefährliche Wirkstoffe • Ökologisierung der Landwirtschaft in Deutschland
• Forschung an nicht-chemischen Alternativen im Pflanzenschutz
Lesetipp: Felix zu Löwenstein – Food Crash. Wir
werden uns ökologisch ernähren oder
gar nicht mehr.
Quellen:
– http://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/04_Pfla
nzenschutzmittel/meld_par_19_2013.pdf;jsessionid=4C05
EFCF5F6708C1A3F05FC1ADBD045A.2_cid350?__blob=
publicationFile&v=3
– http://papa.jki.bund.de/dokumente/upload/3052e_papa2
011_journal_f_kulturpflanzen_.pdf
– http://papa.jki.bund.de/index.php?menuid=43
– NEPTUN-Erhebungen
(http://papa.jki.bund.de/index.php?menuid=41)
– http://berichte.bmelv-statistik.de/GBB-0000100-2012.pdf 6 http://papa.jki.bund.de/index.php?menuid=43
– http://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Leb
ensmittel/nbpsm/NBPSMR_2013.pdf;jsessionid=727C312
F2A9408D1C85E163BDB9A2077.2_cid340?__blob=publi
cationFile&v=6
– http://www.pan-europe.info/News/PR/150312.html 9 – – –
– http://www.pnas.org/content/110/27/11039.abstract
– http://www.pflanzenforschung.de/de/journal/journalbeitr
age/insektizid-belastung-deutlich-hoeher-als-erwartet-forsc-10411
– http://www.iva.de/sites/default/files/pdfs/der_pflanzens
chutzmarkt_2013-14_jpk_120514.pdf 12 http://news.agropages.com/News/NewsDetail
– http://www.iva.de/praxis/pflanzenschutz