Müllskandal in Sachsen-Anhalt: Die Großen lässt man laufen

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Einer der größten Müllskandale in der BRD beschäftigte mehr als zehn Jahre die Gerichte. Als einzig politisch Schuldiger muss nun ein ehemaliger Landrat ins Gefängnis. Doch die Großen aus Landespolitik und Wirtschaft kommen unbehelligt davon.

von Susan Bonath

Aus zwei Tongruben im Jerichower Land sickert und dünstet Gift. Rohre fördern die gefährlichen Schadstoffe nach oben. Das Land Sachsen-Anhalt betreibt Gefahrenabwehr. Gut 30 Millionen Euro bis ins Jahr 2033 hat es veranschlagt, um die rund 1,3 Millionen Tonnen Haus- und Giftmüll “kontrolliert verrotten” zu lassen.

Mehr als zehn Jahre sind seit dem Aufdecken des Umweltskandals durch das ZDF-Magazin Frontal 21 vergangen. Mehrere Urteile sind inzwischen gegen Beschäftigte und Geschäftsführer des regionalen Grubenbetreibers gefallen. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) auch einen politisch Schuldigen präsentiert: Er bestätigte eine 2017 vom Landgericht Magdeburg verhängte Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten gegen den früheren Landrat Lothar Finzelberg.

Die Revision des parteilosen Politikers erklärten die Richter in Karlsruhe damit für unbegründet. Der 65-Jährige soll das Verkippen der Müllberge gedeckt und dafür Bestechungsgelder angenommen haben. Bis heute bestreitet Finzelberg die Vorwürfe. In der Tat handelte es sich um einen reinen Indizienprozess. Die Anklage beruhte maßgeblich auf der Aussage eines schwer kriminellen, mehrfach vorbestraften Kronzeugen, der teils sogar der Lüge überführt wurde.

Schwerkrimineller Kronzeuge, korrupte Justiz

“Meine Anwälte und ich sind erschüttert über diese Art der Rechtsprechung”, sagte Finzelberg vergangene Woche gegenüber der Autorin. Dass er selbst und seine Verteidiger erst durch eine Pressemitteilung des BGH vom 13. November von dem Urteil erfahren hatten, sei nur einer von vielen Gründen dafür.

Noch Anfang November habe sein Anwalt Friedrich Karl Zoller mit einer Verhandlung am BGH nicht vor 2019 gerechnet, erklärte Finzelberg. Doch das Urteil wurde nicht nur im Hinterzimmer gefällt, es stammt bereits vom 13. September. Das sei ungewöhnlich. Denn auch die Staatsanwaltschaft hatte Revision eingelegt, allerdings eine höhere Haftstrafe beantragt. “In einem solchen Fall musste man eigentlich von einer öffentlichen Verhandlung ausgehen”, so der ehemalige Politiker.

Ihr Urteil hatten die Magdeburger Richter im Sommer vergangenen Jahres nach 58 Verhandlungstagen gefällt. Die Kammer stützte sich dabei auf Uwe S., Mitgeschäftsführer des früheren Grubenbetreibers “Sporkenbach Ziegelei”. Das Strafregister von S. ist lang. Es reicht von Brandstiftung in seinen eigenen Autohäusern über Subventionsbetrug bis hin zu Steuerhinterziehung.

Für seine Taten sollte S. eine Haftstrafe von 7,5 Jahren absitzen. Doch er blieb weniger als die Hälfte dieser Zeit im Gefängnis. Zudem genoss er wesentliche Hafterleichterungen wie Freigang. Der Grund: Uwe S. beschuldigte Finzelberg, von ihm 370.000 Euro angenommen zu haben. Im Gegenzug habe der Landrat Genehmigungen für die Müllverkippung besorgt. Mit dieser Aussage avancierte S. zum Kronzeugen.

Mehr noch: In einem zweiten Prozess vor dem Landgericht Stendal wurde Finzelberg uneidliche Falschaussage im Jahr 2009 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages in Sachsen Müllskandal vorgeworfen. Dabei kam es 2015 zu einem Eklat auch des zweifelhaften Kronzeugen wegen. Die Anklagevertreterin, Oberstaatsanwältin Verena Borstell, wurde vom Verfahren ausgeschlossen und in den Zeugenstand gerufen. Sie habe den Uwe S. wesentlich beeinflusst.

Darüber hinaus habe sich Borstell an einem Deal mit einem weiteren Zeugen, dem Geschäftsmann Stefan E., beteiligt, so die Vorwürfe gegen die Vertreterin der Anklagebehörde. E. hatte sich selbst an die Justiz gewandt, weil er angeblich Beweise für die Schuld Finzelbergs hatte. Diese wollte er aber nicht umsonst liefern. In Absprache mit der Oberstaatsanwältin stellte ihm Sachsen-Anhalts Justizministerium, damals unter Angela Kolb-Janssen (SPD), 100.000 Euro für eine Aussage in Aussicht. Der Deal platzte und kam ans Tageslicht, weil E. eine Million Euro verlangte. Die Folgen: keine.

Fragwürdige Indizien

Die Sache hat noch mehr Haken. Erstens konnte das Gericht die behaupteten Geldübergaben, die angeblich auf einem Jagdhochsitz stattgefunden haben sollen, nicht belegen. Im Gegenteil: Ein ortskundiger Zeuge versicherte sogar, dass an diesem Ort zur fraglichen Zeit überhaupt kein Hochsitz existiert habe. Deshalb verschob das Gericht die Urteilsverkündung um mehrere Monate. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen diesen Zeugen auf.

Klären konnte das Gericht in dieser Zeit die offene Frage nicht. So diskutierte es ergebnislos, ob es sich um ein Kinderspielhaus statt eines Hochsitzes gehandelt haben könne. Am Ende bezeichnete Richter Gerhard Könecke nur einen kleinen Teil der in der Anklage genannten 370.000 Euro, die Finzelberg angenommen haben soll, als “objektivierbar”: 55.740 Euro.

Finzelbergs Anwälte hatten ihre Revision damit begründet, dass der Kronzeuge unglaubwürdig sei. “In mindestens zehn Punkten konnte er der Lüge überführt werden”, hieß es. Dabei gebe es “zwei Beschlüsse aus der Vergangenheit, in denen der BGH selbst festgestellt hat, dass Aussagen eines Kronzeugen in Gänze nicht verwertbar sind, wenn sich nur eine Angabe als falsch herausstellt.”

Illegaler Müll – legal geliefert

Zweitens ist bis heute fraglich, wie Finzelberg als Landrat Genehmigungen für die Verkippung gesetzlich verbotener Stoffe beschafft haben könnte. Diese Papiere existierten tatsächlich. Sie stammten jedoch vom Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB). Das war dem Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt unterstellt. Dessen Chef war damals der nunmehr seit 2011 amtierende Ministerpräsident des Landes, Reiner Haseloff (CDU). Bei Haseloff und dessen ehemaliger Behörde sieht Finzelberg die Verantwortung.

Ihr Urteil hatten die Magdeburger Richter im Sommer vergangenen Jahres nach 58 Verhandlungstagen gefällt. Die Kammer stützte sich dabei auf Uwe S., Mitgeschäftsführer des früheren Grubenbetreibers “Sporkenbach Ziegelei”. Das Strafregister von S. ist lang. Es reicht von Brandstiftung in seinen eigenen Autohäusern über Subventionsbetrug bis hin zu Steuerhinterziehung.

Für seine Taten sollte S. eine Haftstrafe von 7,5 Jahren absitzen. Doch er blieb weniger als die Hälfte dieser Zeit im Gefängnis. Zudem genoss er wesentliche Hafterleichterungen wie Freigang. Der Grund: Uwe S. beschuldigte Finzelberg, von ihm 370.000 Euro angenommen zu haben. Im Gegenzug habe der Landrat Genehmigungen für die Müllverkippung besorgt. Mit dieser Aussage avancierte S. zum Kronzeugen.

Mehr noch: In einem zweiten Prozess vor dem Landgericht Stendal wurde Finzelberg uneidliche Falschaussage im Jahr 2009 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages in Sachsen Müllskandal vorgeworfen. Dabei kam es 2015 zu einem Eklat auch des zweifelhaften Kronzeugen wegen. Die Anklagevertreterin, Oberstaatsanwältin Verena Borstell, wurde vom Verfahren ausgeschlossen und in den Zeugenstand gerufen. Sie habe den Uwe S. wesentlich beeinflusst.

Darüber hinaus habe sich Borstell an einem Deal mit einem weiteren Zeugen, dem Geschäftsmann Stefan E., beteiligt, so die Vorwürfe gegen die Vertreterin der Anklagebehörde. E. hatte sich selbst an die Justiz gewandt, weil er angeblich Beweise für die Schuld Finzelbergs hatte. Diese wollte er aber nicht umsonst liefern. In Absprache mit der Oberstaatsanwältin stellte ihm Sachsen-Anhalts Justizministerium, damals unter Angela Kolb-Janssen (SPD), 100.000 Euro für eine Aussage in Aussicht. Der Deal platzte und kam ans Tageslicht, weil E. eine Million Euro verlangte. Die Folgen: keine.

Fragwürdige Indizien

Die Sache hat noch mehr Haken. Erstens konnte das Gericht die behaupteten Geldübergaben, die angeblich auf einem Jagdhochsitz stattgefunden haben sollen, nicht belegen. Im Gegenteil: Ein ortskundiger Zeuge versicherte sogar, dass an diesem Ort zur fraglichen Zeit überhaupt kein Hochsitz existiert habe. Deshalb verschob das Gericht die Urteilsverkündung um mehrere Monate. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen diesen Zeugen auf.

Klären konnte das Gericht in dieser Zeit die offene Frage nicht. So diskutierte es ergebnislos, ob es sich um ein Kinderspielhaus statt eines Hochsitzes gehandelt haben könne. Am Ende bezeichnete Richter Gerhard Könecke nur einen kleinen Teil der in der Anklage genannten 370.000 Euro, die Finzelberg angenommen haben soll, als “objektivierbar”: 55.740 Euro.

Finzelbergs Anwälte hatten ihre Revision damit begründet, dass der Kronzeuge unglaubwürdig sei. “In mindestens zehn Punkten konnte er der Lüge überführt werden”, hieß es. Dabei gebe es “zwei Beschlüsse aus der Vergangenheit, in denen der BGH selbst festgestellt hat, dass Aussagen eines Kronzeugen in Gänze nicht verwertbar sind, wenn sich nur eine Angabe als falsch herausstellt.”

Illegaler Müll – legal geliefert

Zweitens ist bis heute fraglich, wie Finzelberg als Landrat Genehmigungen für die Verkippung gesetzlich verbotener Stoffe beschafft haben könnte. Diese Papiere existierten tatsächlich. Sie stammten jedoch vom Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB). Das war dem Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt unterstellt. Dessen Chef war damals der nunmehr seit 2011 amtierende Ministerpräsident des Landes, Reiner Haseloff (CDU). Bei Haseloff und dessen ehemaliger Behörde sieht Finzelberg die Verantwortung.

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