Mensch Gottfried – Der autarke Selbstversorger (Doku)

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Gottfried Stollwerk 52, Vater von drei Söhnen, Selbstversorger und „Spaßbauer“ in Hiddinghausen bei Osnabrück.

Herr Stollwerk ist Handarbeitender Bauer mit zehn Schafen, einer Kuh, einem Kalb und Hühnern. Außerdem einem Gemüsegarten und Obstbäume. Die Zentralheizung im Haus und fließendes Wasser wird nicht nutzt. Befeurt den Ofen in der Küche mit eigenem Holz, hat einen Hausbrunnen und ein Kompostklo. Einige mögen ihn für verrückt halten, jedoch wird im Laufe der Doku klar, wie tiefgründig Gottfrieds Lebenseinstellung ist und wieso er so ein konsequentes Handeln an den Tag legt.

„Ich lebe nicht so, weil ich die Welt retten will, sondern weil es mir Selbstwertgefühl vermittelt und Spaß macht. Manche Biobauern oder Ökos denken ja, dass das etwas Schlechtes ist. Seit dem Begriff Spaßgesellschaft verbinden sie Spaß mit der Dekadenz der Großstadt.“

Teller leckt er sauber: Bissendorfer Kleinbauer verzichtet auf fließendes Wasser und Toilette

Gottfried Stollwerk trinkt Spülwasser. „Uargh“, stöhnt er mit verstellter Stimme, „der Stollwerk trinkt Spülwasser!“ Er weiß genau, wie angewidert „die Leute“ sein werden. Dabei sieht sein Spülwasser gar nicht so ekelig aus. Es ist ein wenig milchig und riecht leicht säuerlich, ein bisschen wie Joghurt. „Regenwasser und Molke“, erklärt Stollwerk. Die Milchsäure habe eine ausgezeichnete Reinigungswirkung. Sie reinigt Stollwerks Geschirr, Stollwerks Wäsche und ihn selbst. Ein Eimer Wasser für nahezu alles. Stollwerk kommt mit drei Litern Quell- und zwei bis drei Litern Regenwasser am Tag aus. Er hat kein fließendes Wasser.

Stollwerk, 57 Jahre alt, ist Kleinbauer. In den hügeligen Wiesen von Hiddinghausen, mitten zwischen Melle, Bad Essen und Bissendorf gelegen, hat er sich vor 18 Jahren einen alten Hof gekauft, den er seitdem in Handarbeit bewirtschaftet. Fünf Hektar Land, zehn Schafe, zwei Kühe, ein paar Hühner, eine Ziege – und, wie gesagt, kein Wasseranschluss. Dafür hat Stollwerk eine Quelle, einen Brunnen und eine alte Badewanne voller Regenwasser.

Aus der Quelle holt er sein Trinkwasser, es schmeckt weich und klar. „Handgeschöpftes Trinkwasser ist mir das höchste Gut“, sagt Stollwerk. Das Regenwasser nutzt er zum Spülen und Waschen. Es schmecke längst nicht so gut wie Quellwasser. „Sogar die Ziege trinkt lieber das Quellwasser“, sagt Stollwerk. Und dann ist da noch der Brunnen unter dem Haus. Eine steile Treppe führt in den Keller, an den niedrigen Decken hängen dichte Spinnweben, von den Wänden bröckelt der Putz.

Mit einer Taschenlampe leuchtet Stollwerk in eine Nische in der Wand; hier beginnt eine Zeitreise. Ein steinerner, runder Schacht weist in die Tiefe, fünf Meter weiter unten steht Wasser. „Der Brunnen war hier lange, bevor das Haus gebaut wurde“, sagt Stollwerk. Die Siedlung, zu der sein Hof gehört, liegt an einem Hang – für die Menschen, die sie einst gründeten, eine ideale Lage: oben der Acker, unten der Bach, dazwischen sie.

Zumindest was das Wasser angeht, lebt Gottfried Stollwerk heute weitgehend wie sie. Zwar hat er einen Stromanschluss für Licht, Herd, Radio und Telefon, doch verzichtet er auf Heizung und fließendes Wasser – ebenso wie auf ein Abwasserrohr. Also gibt es auch kein Klo; eine Toilette mit Spülung habe er auf dem Hof noch nie benutzt, sagt Stollwerk, zu schade seien ihm die Ausscheidungen gewesen. Stattdessen düngte er damit das Feld, so wie Generationen Bauern vor ihm. Der Ekel und die Peinlichkeit, die Kot und Urin heute bei vielen Menschen hervorrufen, sind für Stollwerk Ausdruck einer Entfremdung von der Natur. Doch er will ihr nicht fremd sein.

Als seine Frau sich von ihm trennte, ging Gottfried Stollwerk den nächsten Schritt. Er zog vom Wohnhaus in den angrenzenden Hof, der mehr als ein Jahrzehnt leer gestanden hatte. Der Wasseranschluss funktionierte nicht, also begann Stollwerk, sein Wasser aus der Quelle und dem Brunnen zu holen. Das war 2005. Er beließ es dabei.

Wenn Gottfried Stollwerk Trinkwasser braucht, nimmt er einen Eimer und geht festen Schrittes Richtung Wiese. Ein Stückchen des Weges begleitet ihn Annabelle, seine Ziege, die ihm die nötige Molke spendiert. Wenn Stollwerk seine Beine über den Zaun am Bachlauf schwingt, bleibt Annabelle meckernd und mit klingendem Glöckchen zurück und schaut ihm nach. Hinter dem Bach ist die Wiese sumpfig, dann erhebt sie sich zum Hügel; am Hang weiden die Schafe und die Kühe.

Am kleinen Bach geht Stollwerk vorbei, von hier mag er kein Wasser nehmen. Die Landwirte in seiner Nachbarschaft sprühen Glyphosat auf die Felder. Sie nennen es Pflanzenschutzmittel, er nennt es Gift, weil es die Pflanzen sterben lässt. Stollwerk sorgt sich, dass es den Bach oder das Grundwasser vergiftet, denn der Zugang zu sauberem Wasser ist Grundlage für sein Leben. Als im vergangenen Jahr Brunnen und Quelle mehr als drei Monate trocken lagen, radelte er jeden Tag vier Kilometer zur nächsten Quelle.

„Ich will nicht andere Menschen verändern“, sagt Stollwerk. Aber seinen eigenen Umgang mit Wasser habe er radikal ändern können. „Das hat erhebliche Auswirkungen auf mein Selbstwertgefühl und meine Lebensfreude. Es tut mir gut, mein Trinkwasser aus der eigenen Quelle zu holen“, sagt Stollwerk. Er habe ein „vergnügliches Verhältnis“ zum Wasser. Schon seine Mutter habe ohne Spülmittel abgewaschen, schon als Kind habe er das Spülwasser „an den Birnbaum gebracht“. „Das mache ich heute noch so“, sagt er. „Es ist doch erstaunlich, wie prägend die Kindheit ist.“

Prägend ist auch ein Leben ohne fließendes Wasser, aus Sicht des Außenstehenden mutet es anstrengend an. Für Gottfried Stollwerk scheint es Besinnung, Ritual und Selbst-verwirklichung zu sein. Drei Eimer stehen in dem Raum, der Zentrum seiner Wohnung ist. Bevor er sein Geschirr spült, leckt Stollwerk es ab, es sei erstaunlich, welche Kraft menschlicher Speichel habe. Dann spült er den Teller in einem ersten Eimer mit Regen-wasser vor, damit keine Essensreste ins eigentliche Spülwasser gelangen. In diesem zweiten Eimer wäscht er fast alles, sich selbst eingeschlossen. Nur für die Intimpflege hat er ein bisschen Wasser in einen dritten Eimer umgefüllt. Auch, wo kein Leitungswasser fließt, kann es hygienisch zugehen.

Das gilt auch für Stollwerks Klo. Auf der Diele steht ein Eimer fürs kleine Geschäft, neben der Toilette einer fürs große. Das wird mit einer Handvoll Sägespäne bedeckt, dann reicht es, den Eimer zwei bis dreimal pro Woche aufs Feld zu bringen.

In der Stadt sei das schwierig, das weiß auch Stollwerk, doch seine Art abzuwaschen sei auch für Städter mit wenig Aufwand zu realisieren. Ein solches Leben ohne Leitung hat seine Tücken, auch dessen ist sich Stollwerk bewusst. Weiße Kleidung zum Beispiel kann er nicht tragen, weil er sie einfach nicht sauber bekommt. Er trägt stattdessen Wolle, die lüftet leicht und muss selten gewaschen werden. Ist so ein Leben verrückt? Ist so ein Leben schön? Gottfried Stollwerk lädt jeden ein, es herauszufinden. „Wer möchte, kann ein paar Tage auf dem Hof Urlaub machen“, sagt er. Ferien auf dem Bauernhof, ohne Leitungswasser, ohne WC, mit nur einem Ofen, der wärmt. Nah an der Natur – und ihr danach vielleicht ein bisschen weniger fremd.

Quelle: noz.de vom 07.04.2012

Im Jahr 2007 der Filmaufnahmen war Gottfried 52!

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