In der chilenischen Atacama fällt so wenig Niederschlag wie sonst nur in den Trockentälern der Antarktis. Zumindest gilt das für das langjährige Mittel. Doch in den Jahren 2015 und 2017 ließen drei Unwetter literweise Regen auf die staubtrockene Wüste fallen, mit gänzlich unerwarteten Konsequenzen. In “Scientific Reports” berichtet ein spanisch-chilenisches Forscherteam von einem Massensterben unter Bodenmikroben, das durch das plötzliche Überangebot an Wasser ausgelöst wurde.
Die Atacama im nördlichen Chile ist die trockenste und wohl auch älteste Wüste der Erde. Seit rund 150 Millionen Jahren herrschen auf den 100.000 Quadratkilometer rings um die Hafenstadt Antofagasta Wüstenbedingungen, das Herz des Gebiets ist seit mindestens 15 Millionen Jahren hyperarid mit vernachlässigbaren Niederschlägen, die umgehend auch wieder verdunsten, sobald sie gefallen sind. Die ungeheure Trockenheit macht die chilenische Küstenwüste zu einem Eldorado für Astrobiologen, die hier das beste irdische Vergleichsgebiet für die Bedingungen auf dem Mars finden. Nur die Trockentäler der Antarktis kommen da noch mit.
“Zumindest galt das bis zu diesen Regenfällen”, meint der Geologe Dirk Schulze-Makuch. Der Professor am Zentrum für Astronomie und Astrophysik der Technischen Universität Berlin leitet das EU-Projekt “HOME” über die Bewohnbarkeit des Roten Planeten und ist regelmäßig in der Atacama. “Diese Regenfälle” haben 2015 und 2017 das staubtrockene Herz der Atacama gleich drei Mal buchstäblich unter Wasser gesetzt. 40 Liter pro Quadratmeter wurden 2015 in Antofagasta gemessen, 17 waren es immerhin noch im 200 Kilometer landeinwärts gelegenen Calama. 2017 fiel in dem dritten Unwetter der Folge zumindest an der Küste rund die fünffache der seit vielen Jahren durchschnittlichen Regenmenge. Wieviel genau in der hyperariden Zone zwischen beiden Städten gefallen ist, ist nicht bekannt, denn dort wird nicht dauerhaft gemessen.
Vergleich zu Sturzfluten auf dem Mars möglich
Ob die Regenfälle tatsächlich den Beginn eines neuen Trends in der trockensten Wüste der Erde signalisieren, ist fraglich, aber immerhin haben sie den Astrobiologen einen Einblick in die Perioden der Marsgeschichte gewährt, die offenbar von schweren Fluten geprägt waren. Denn auch nachdem die feuchte Frühphase des Planeten vor rund 3,5 Milliarden Jahren endete, war seine Oberfläche keineswegs die dauerhaft ausgetrocknete Wüste von heute. Mehrfach hat es in der Zeit nach dem Ende der Hydrosphäre schwere Fluten von unbestimmbarer Ausdehnung gegeben, und die Unwetter von 2015 und 2017 könnten den Astrobiologen etwas entsprechendes auf der Erde geliefert haben.
Das denkt zumindest eine spanisch-chilenische Arbeitsgruppe, die das Bodenleben in der Atacama untersucht. “Unsere Studien in der Atacama zeigen, dass diese wiederkehrenden Fluten zum Ende des Lebens auf dem Mars beigetragen haben könnten, falls es dort Leben überhaupt gegeben hat”, sagt etwa Alberto Fairén vom Zentrum für Astrobiologie des spanischen Wissenschaftsrates CSIC. Die Forscher haben nach den beiden Unwettern in 2015 in den Tümpeln, die sich in den Senken der Wüste gebildet hatten, nach mikrobiellem Leben gesucht. “Zu unserer Überraschung haben wir gesehen, dass das Wasser ein gewaltiges Massensterben unter den Einzellern an der Oberfläche hervorgerufen hat”, betont sein Kollege Armando Azúa-Bustos. Von den vorher 16 Bakteriengattungen, lebten nach den Regenfällen nur vier. In den Tümpeln, in denen das Regenwasser besonders viel Salze aus dem Boden gelöst hatte, waren es sogar nur zwei. Archäen, die neben den Bakterien den zweiten großen Bereich der einfachen Einzeller ausmachen, fehlten völlig, ebenso höhere Einzeller wie Cyanobakterien.
Einzeller platzten durch zu viel Wasser
Die Forscher machen “osmotischen Stress” für das Massensterben der Mikroben in der Atacama verantwortlich. Mit anderen Worten: Sie sind einfach geplatzt. “Die Mikroorganismen waren perfekt an die extrem trockenen Bedingungen vor Ort angepasst”, erklärt Fairén, “mit der plötzlichen Überflutung konnten sie sich nicht arrangieren und starben durch den schieren Überfluss an Wasser.” Für die Astrobiologen ist das ein Hinweis darauf, wie das Marsleben endgültig ausgestorben sein könnte. Die immer wiederkehrenden Fluten machten den für die wachsende Trockenheit optimierten Überlebenden des Roten Planeten immer wieder den Garaus. Mit jeder Flut und dem darauffolgenden Massenaussterben sei die Basis geschrumpft, auf der das Leben wieder habe aufbauen können.
Bei ihren Kollegen ernten die Spanier nur teilweise Zustimmung. “Ihre Beobachtungen sind zutreffend, aber die Schlussfolgerungen halte ich für ein bisschen weitreichend”, sagt etwa Dirk Schulze-Makuch von der TU Berlin. Die Arbeitsgruppe habe nur die Tümpel beprobt und eben nicht die Areale daneben, in denen das Wasser nicht stehen geblieben sei. Der Fokus auf die Tümpel habe die Folgen dramatisiert. “Wenn ein See in einem ehemals trockenen Areal entsteht, ist zu erwarten, dass sich die Mikrofauna drastisch verändert”, so Schulze-Makuch. Der deutsche Experte hat im Rahmen des EU-Projektes HOME ebenfalls das Bodenleben im hyperariden Bereich der Atacama untersucht und dabei zufällig auch die beiden heftigen Unwetter von 2015 abgedeckt. Diese Untersuchungen, die im Frühjahr in den Abhandlungen der US-Akademie der Wissenschaften erschienen, zeigten, dass sich nach einer gewissen Zeit des Stresses das Bodenleben wieder erholte und zu alter Zusammensetzung zurückkehrte. Und nicht nur das: Nach den Regengüssen wurden viele Mikroben, die sich dort in einer Art “Trockenheitsschlaf” befanden, aktiv und vermehrten sich sogar. Auch im Fall der mittlerweile wieder ausgetrockneten Tümpel könnten sich die Bodenökosysteme wieder erholen, entsprechendes hat das Team um Azúa-Bustos und Fairén in ihrem Bericht eingeräumt. Die entsprechenden Untersuchungen laufen derzeit.