“Der traurigste Eisbär der Welt” lebt hinter Glas in einem Einkaufszentrum in… China.

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Pizza, “der traurigste Eisbär der Welt”, soll zumindest eine vorübergehende Verschnaufpause von der “Vitrine” erhalten, in der er im Einkaufszentrum Grandview in Guangzhou, Südchina, leben muss.

Dem folgt ein weltweiter Aufschrei, mit einer einer Petition und einer Million Unterschriften und den gemeinsamen Bemühungen von 50 Tierschützerorganisationen in China.

Dieser Schritt ist eine willkommene Neuigkeit für alle Menschen, denen am Wohlergehen von Tieren im Allgemeinen und dem Wohl von Pizza im Besonderen liegt. Pizza zeigte, was Ethologen als “stereotypes Verhalten” bezeichnen – hin und her gehen, “den Kopf von einer Seite zur anderen schütteln und an einer Luftöffnung schnüffeln und scharren”. Kurz gesagt, ob nun aus Langeweile oder Stress, wenn ihm ständig Kameralblitzlichter in die Augen flammen oder Besucher an die Fenster zu seinem Gehege schlagen, so schien Pizza jedenfalls allmählich seinen Verstand zu verlieren.

Pizzas Elend ist dabei leider kein Einzelfall. Selbst in förmlicheren Zoos und Aquarien sind soziale Wesen, die es gewohnt sind, weit zu wandern, hoch hinauszuklettern oder in die Höhe zu fliegen, oftmals allein und isoliert, in Räumen, die zu klein sind, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen, und wo sie entweder zu viel Aufmerksamkeit der falschen Art, oder aber Gleichgültigkeit oder Vernachlässigung erfahren. So wie Pizza wandern diese Tiere unruhig und endlos durch ihre nackten Gehege oder verbringen ihre Tage in Verzweiflung mit dem Gesicht zur Wand gedreht.

Pizza wurde in den Zoo in Tianjin bei Peking gebracht, wo er einst geboren wurde. Der Sprecher des Einkaufszentrums sagte jedoch, dass er zurückkomme sobald das Gehege des Bären renoviert sei. Qin Xiaona, Direktor der in Peking ansässigen Tierschutzorganisation ‘Capital Animal Welfare Association’ und eine der wichtigsten Stimmen, die sich für Pizza aussprach, sagte zur Verschnaufpause für den dreijährigen Bären: „Es ist eine gute Entscheidung, die richtige Entscheidung für Pizza, aber es ist nicht endgültig. Vorübergehend ist nicht gut genug.”

Sie hat recht – und das gilt nicht nur für Pizza. Was er und die 500 anderen Arten, die Grandview beherbergt, verdienen, ist Raum zum Durchstreifen, eine Chance, mit ihren Artgenossen zusammen zu sein, und eine Gelegenheit, ihr natürliches Verhalten zum Ausdruck zu bringen – einen Partner zu suchen, zu jagen, sich zu verstecken und zu spielen, mit anderen Worten: (zumindest etwas) frei zu sein.

Wenn sie aus irgendeinem Grund nicht in freier Wildbahn überleben können, sollten sie in Schutzgebiete in Regionen zurückgezogen werden, die klimatisch und geografisch angemessen sind.

Wenn Natur zur Ware gemacht wird

Es ist jedoch das, was wir seltsamen, gewinnsüchtigen, zweibeinigen Primaten wollen und brauchen, das wohl am meisten verblüfft und verstört. In allen Gesellschaften fühlen wir uns von charismatischen Wildtieren wie Bären, Löwen, Wölfen, Tigern, Adlern und anderen angezogen. Diese Top-Raubtiere haben ihre Talismankraft über unsere Vorstellungen ausgeübt, vielleicht schon bevor unsere Spezies sich als von ihnen getrennt (und ihnen überlegen) zu betrachten begann. Wir sehnen uns nach ihrer körperlichen Energie, ihrer “Andersartigkeit“, ihrer furchterregenden Stärke und ungewöhnlichen Anmut sowie nach ihren (im Vergleich zu unseren) höher entwickelten Sinnen wie Geruch und Hören.

Ganz gleich, ob diese Tiere in Zoos und Aquarien oder in diesem speziellen Einkaufszentrum leben, wir wünschen uns diese Nähe doch nur, um ihnen alles Mächtige und Wilde zu entziehen. Wir wollen, dass sie uns anerkennen, aber nicht auf eine Weise, die etwas von uns verlangt, außer unserer Unterhaltung, Belustigung und unserem Wunsch, Kontrolle über sie in ihrem gefangenen Zustand auszuüben.

Grandviews Platzierung von Pizza und anderen Tieren in seinem Einkaufszentrum ist nicht nur geschicktes Marketing. Es ist vielmehr ein Symbol für die Objektivierung und Vermarktung der Natur durch die globale Konsumgesellschaft.

In diesem Zusammenhang haben Tiere und Natur nur dann einen Wert, wenn sie gewinnbringend genutzt werden können.

Pizza, dessen Name bezeichnenderweise seine Identität als etwas Verbrauchbares beschreibt, wird quasi zu einem weiteren Ausstellungsstück inmitten aller Waren degradiert, die im Einkaufszentrum zum Verkauf stehen.

Er ist ein weiteres Produkt, mit dem Käufer ein oder zwei lustige, vergnügte oder unbekümmerte Minuten verbringen können, bevor sie zu einer anderen Ablenkung übergehen.

Grandview hat Pizza in seine Ersatz-Winterlandschaft eingebaut, weil das Management befürchtete, Käufer an Online-Händler zu verlieren. Anders ausgedrückt, es brauchte ein Stück Natur, um die Leute aus dem Internet herauszureißen und zum Besuch im wirklichen Einkaufszentrum zu veranlassen. (Wie viele weitere Einkaufszentren in China oder anderswo werden es möglicherweise nachmachen?) Aber was tun die meisten Menschen, wenn sie mit dem lebenden, atmenden und fühlenden Bären konfrontiert werden? Sie greifen auf noch einen weiteren Bildschirm zurück, um dieses Lebewesen in die Kamera in ihren Handys zu übergeben, von Pizzas realer Existenz in seiner widernatürlichen Realität im Laden hin zu ihrer digitalen Welt.

Die größte Ironie könnte in der möglichen Deutung bestehen, dass die einsame Mahnwache von Pizza in einer verkleinerten Landschaft die Klimakrise widerspiegelt, die heute typischerweise durch die ikonische Darstellung eines einsamen Eisbären auf einer schwindenden Eisscholle verbildlicht wird. In diesem Sinne weist das Verschwinden von Pizza in die virtuelle Welt hinein auf das Verschwinden von Millionen anderer Arten hin, weil die Menschheit bisher kollektiv versagt hat, entschlossen zu handeln, um die Treibhausgasemissionen zu begrenzen.

Qin Xiaonas Beobachtung, dass “vorübergehend nicht genug ist“, könnte weit über das Schicksal von Pizza und anderen in Gefangenschaft lebenden Tieren wie ihm hinausreichen. Es könnte ein Aufruf zur Sammlung sein, um unsere scheinbar unersättliche Zerstörung dieses einzigartigen Blauen Planeten, der unsere Heimat ist und die von Millionen anderer Arten, zu verhindern oder sogar umzukehren.
Sie brauchen, wie wir, einen sicheren Raum ohne zum Objekt gemacht und Zerstörung ausgesetzt zu werden, in dem wir alle atmen und die ungebundenen, selbstbestimmten Wesen sein können, die wir einst waren und wieder sein könnten.

 

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