Vor knapp 14 Milliarden Jahren ist unser Universum aus einem sehr heißen und dichten Zustand hervorgegangen, dem Urknall, meinen Astronomen. Doch was war der Urknall genau? Ein singuläres oder zyklisches Ereignis? Und was war davor?
Weltraum. Unendliche Weiten. In klarer Nacht funkeln Tausende Sterne am Himmel. Polarlichter wabern grünlich über das Firmament, hier und da zischen Sternschnuppen von den Tierkreisen auf uns zu.
Selten mal blickt ein Komet mit mächtigem Schweif herab. Und im schwarzen Nichts zwischen den Sternen reicht der Blick Millionen, ja Milliarden Lichtjahre hinaus. Mitten drin in diesem schier ewigen Kosmos mit seiner unfassbaren Größe: eine kleine blaue Kugel, bewohnt von staunenden Menschen – ein Staubkorn, ein Nichts, eine Singularität irgendwo in der Unendlichkeit.
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“
Was da laut biblischer Genesis am ersten Schöpfungstage geschehen ist, halten manche für eine perfekte Zusammenfassung der Urknalltheorie. Nach ihr hat das Universum mit einem grellen Blitz begonnen.
„Gab es eine Schöpfung? Oder hat es das Universum schon immer gegeben?“ – Doch so populär die Idee mit dem Urknall sein mag. Stephen Hawking hatte große Zweifel, ob der Urknall wirklich eine Art Anfang für den Kosmos gewesen ist.
„Am Anfang sagt Gott: Es werde Licht. Gott ist also schon da, schon vor der Schöpfung. Gott ist ein übernatürlicher Gott.“ – Guy Consolmagno, Direktor der Vatikan-Sternwarte, sieht den Urknall als Werk einer höheren Macht.
Rein wissenschaftlich wird man die letzten Geheimnisse vom Anfang der Welt ohnehin kaum lösen können, fürchtet der Kosmologe Andreas Tammann: „Der Urknall selber, mit dem das Universum anfing, wird letztlich immer eine Hypothese bleiben und wir werden auch zum Beispiel nie die Frage beurteilen können, ob das Universum endlich oder unendlich ist.“
Die Kosmologie ist jener Bereich der Astronomie, in dem sich die Forscher mit dem Universum als Ganzes befassen – mit seinem Aufbau und seiner Entstehung. Einer, den die Schöpfung gleich zweifach umtreibt, wissenschaftlich-rational wie persönlich-religiös, ist Guy Consolmagno. Der Astronom gehört seit fast drei Jahrzehnten dem Jesuitenorden an und ist Direktor der Specola Vaticana, der Sternwarte des Vatikans in Castel Gandolfo vor den Toren Roms. Vom Himmel war er schon immer fasziniert.
„Ich bin in Michigan aufgewachsen. Im Sommer, während der Werksferien in den Autofabriken von Detroit, waren wir immer am Lake Huron. Dort am See war es fantastisch dunkel. Mein Vater war von Astronomie begeistert, hat mir die Sterne erklärt, mein erstes Teleskop geschenkt und ein Buch gegeben, um die Sternbilder zu lernen. Außerdem war ich schon früh ein großer Fan von Science-Fiction.“
Die Begeisterung aus seiner Jugendzeit mit Teleskop und Science-Fiction hat sich Bruder Guy, wie er sich selbst meist nennt, erhalten. Der Forscher mit dem leicht ergrauten Rauschebart ist nun für das Observatorium tätig, das Papst Leo XIII. Ende des 19. Jahrhunderts gegründet hat – mit einem klaren Auftrag: Die Vatikan-Sternwarte solle allen zeigen, dass die Kirche nichts gegen wahrhaftige Wissenschaft habe und sie mit dem größtmöglichen Einsatz fördere.
Wegen der schlechten Sichtbedingungen in der Umgebung Roms betreiben die Astronomen des Papstes inzwischen auch ein modernes Zwei-Meter-Teleskop in Arizona. Sie beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Themen: von Asteroiden im Sonnensystem bis zum Ursprung der Welt.
Galaxien auf der Flucht – die Ausdehnung des Kosmos
„Wir verstehen nicht, warum all die anderen Galaxien vor uns fliehen, als wären wir die Pestbeule im Kosmos.“ Arthur Eddington, Astrophysiker.
„Es ist eine große Freude zu wissen, was im Universum vor sich geht. Gott ist in der Arbeit, die ich tue. Gott hat das Universum gemacht und mich intelligent genug, dass ich sehen kann, was er geschaffen hat – zumindest ein wenig“, sagt Guy Consolmagno.
Die Astronomen arbeiten auf einer kleinen blauen Kugel irgendwo in den Weiten des Universums. Doch sie ahnen, was im Weltall vor sich geht.
Unsere Erde ist ein Planet, der gemeinsam mit Mars, Jupiter und Co. um die Sonne läuft. Die Sonne wiederum gehört zu den rund zweihundert Milliarden Sternen der Milchstraße. Diese Weltinsel ist jedoch auch nur eine von Billionen Galaxien, von denen die Forscher nur einen Bruchteil beobachten können.
Joachim Wambsganß, Direktor des Zentrums für Astronomie an der Universität Heidelberg: „Die Astronomen haben durch vielerlei Messungen in den letzten 70 oder 80 Jahren eine Menge über das Universum als Ganzes in Erfahrung gebracht. Das fing schon damit an, als man in den 20er-Jahren erkannt hat, dass sich die Galaxien von uns entfernen. Daraus hat man dann abgeleitet, dass das Universum expandiert.“
Bis Ende der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben die meisten Astronomen das Weltall für völlig unbewegt und ewig gleich aussehend gehalten. Die Ideen einer dynamischen Bewegung und einer Entwicklung waren vollkommen absurd. Doch dann entdeckten Georges Lemaitre und Edwin Hubble, dass sich die Galaxien von uns fort bewegen – und zwar umso schneller, je weiter sie entfernt sind. Diese Bewegung der Galaxien spiegelt die Ausdehnung des Kosmos wider.
Am Anfang war der Punkt – oder doch nicht?
„Diese Hypothese geht davon aus, dass die gesamte Materie im Kosmos in ferner Vergangenheit in einem einzigen Big Bang [ironisch] entstanden ist.“ Fred Hoyle, Astronom und Mathematiker.
„Unsere Kenntnis von der Entstehung des Universums geht auf Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zurück. Georges Lemaitre, ein Priester aus Belgien, hat als erster erkannt, dass aus Einsteins Gleichungen folgt, dass das Universum sich ausdehnt. Das Universum, das wir heute sehen, war vor 13,8 Milliarden Jahren in einem Punkt konzentriert“, sagt Guy Consolmagno.
Die Astronomen sehen, dass sich der Kosmos ausdehnt – und so lässt sich recht einfach zurückrechnen, wann diese Expansion begonnen hat. Vor knapp 14 Milliarden Jahren war alle Materie auf einem winzigen Raum zusammengepresst: der Stoff, aus dem die Sonne und die anderen Sterne entstanden sind ebenso wie das Material, aus dem wir Menschen heute bestehen.
Alles – Materie und Strahlung – war unvorstellbar dicht gepackt und jener Urzustand war unglaublich heiß. Irgendwann fing er schlagartig an sich auszudehnen. Heute ist die Idee des expandierenden Kosmos weitestgehend akzeptiert. Mitte des letzten Jahrhunderts stieß sie auf große Ablehnung.
„Der englische Astronom Fred Hoyle hat diese Theorie gehasst. Für ihn war da zu viel Religion drin. Und er hatte für Religion nicht viel übrig. Um sich über diese Ideen lustig zu machen, hat er den Big Bang erfunden“, sagt Guy Consolmagno.
Vom Spottbegriff zum perfekten Schlagwort: Das Wort „Urknall“ – der Big Bang – hat Karriere gemacht, auch wenn „Urblitz“ die bessere Bezeichnung wäre. Denn der Anfang der Welt war vor allem hell und heiß – und nicht laut.
Doch die meisten Urknall-Kritiker verstummten 1965. Zwei US-Astronomen hatten entdeckt, dass aus allen Richtungen am Himmel schwache Strahlung in ihr Radioteleskop gelangte. Dies ist die Reststrahlung des Urknalls, die noch immer durch das Universum wabert – und sich inzwischen von den Milliarden Grad am Anfang auf minus 270 Grad Celsius abgekühlt hat.
„Oft haben Leute die Idee des Urknall abgelehnt, einfach weil Georges Lemaitre Priester war. Es hieß, er versuche nur die biblische Schöpfung zu bestätigen. Doch Lemaitre sagt: Nein, die Gleichungen zeigen, dass es so ist – ebenso die Beobachtungen. Aber vielleicht liege ich falsch.“
Georges Lemaitre lag richtig – und er hat die Entdeckung der „kosmischen Hintergrundstrahlung“, wie die Astronomen diesen Überrest des Urknalls nennen, gerade noch erlebt. Ein Jahr später, 1966, ist er gestorben. Die Hintergrundstrahlung ist buchstäblich Licht vom Rand der Welt – weiter können optische Teleskope nicht hinaus ins All und damit zurück in der Zeit blicken. Die Strahlung ist die Kulisse, vor der sich im Kosmos alles abspielt – entstanden gerade einmal 400.000 Jahre nach dem Urknall.
„Die Entdeckung der Hintergrundstrahlung hat uns alle gezwungen, uns ernsthaft mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass das Universum wirklich eine sehr frühe Phase hatte.“ Steven Weinberg, Teilchenphysiker und Nobelpreisträger.
Ohne einen wie auch immer gearteten Anfang der Welt lässt sich diese Strahlung nicht verstehen. Eine ganz entscheidende Frage ist nun, wie groß das Universum damals war. War es wirklich nur ein Punkt, eine Singularität? Ein Punkt hat keinerlei Ausdehnung, hat keine Fläche, kein Volumen. Jedes Staubkorn ist daran gemessen gigantisch groß.
Dass der gesamte Kosmos in einem Punkt zusammengepresst sein soll, sorgt bei Laien für Unverständnis und bestenfalls für Staunen, bei den Forschern dagegen für Stirnrunzeln, erklärt Neil Turok, Direktor am Perimeter-Institut für theoretische Physik in Waterloo Kanada:
„Was mir den Schlaf raubt, ist das Grübeln über die Singularität des Urknalls. Alles, was wir im Kosmos sehen, kommt aus dieser Singularität und ist einst in diesem Punkt gewesen. Aber alle unsere Gleichungen versagen dort. Die Beschreibung der Welt durch Einsteins Theorie bricht dort zusammen.“
Die Allgemeine Relativitätstheorie versagt ausgerechnet ganz am Anfang des Kosmos. Was innerhalb der ersten etwa zehn hoch minus 43 Sekunden geschehen ist, entzieht sich jeglicher physikalischer Beschreibung – also innerhalb der ersten null Komma null, null, null und nach 42 Nullen kommt endlich eine eins Sekunden. Verglichen damit dauert ein Wimpernschlag eine Ewigkeit.
Wäre das Universum wirklich aus einem Punkt entstanden, so wäre die Materie dort unendlich dicht zusammengepresst gewesen. Und mit „unendlich“ haben die Modelle große Probleme – damit kann man kaum rechnen. Neil Turok, einer der großen Kosmologen unserer Zeit, scheut sich nicht, auch mal kräftig gegen den Strich zu bürsten. Er setzt auf einen Ausweg.
„Es gibt eine andere Beschreibung vom Anfang der Welt. Nach der String-Theorie, einer mathematisch sehr komplexen Theorie zum Aufbau des Kosmos, muss der Raum beim Urknall nicht null gewesen sein. Für mich ist der Urknall ein sehr gewaltiges Ereignis in einem bestehenden Universum.“
In einem bestehenden Universum? Nach diesem Ansatz ist der Kosmos nicht im Urknall entstanden – es wurde nur eine Art Reset-Knopf gedrückt und alles komplett durchgemischt. Dann hat ein neues „Spiel“ im All begonnen. Das könnte helfen, ein anderes Problem zu umschiffen, das eine Singularität mit sich bringt: Was passiert eigentlich mit der Zeit, wenn der Kosmos auf einen Punkt zusammenschnurrt? Bleibt die Zeit dann stehen?
Ewig währt am längsten – das Universum vor dem Urknall
„Wenn das Schicksal des Universums wirklich in einem einzigen Moment des Urknalls entschieden wurde, dann war das der kreativste Moment aller Zeiten.“ Deepak Chopra, indischer Autor spiritueller Bücher.
„Wie kann man über ‚davor‘ sprechen, wenn es so etwas wie Zeit noch gar nicht gibt? Unsere Sprache versagt an diesem Punkt“, sagt Guy Consolmagno.
Gab es womöglich doch immer ein „Davor“? Ist die Zeit erst mit dem Urknall entstanden oder waren sie und das Weltall schon immer da? Auch für Koryphäen der Physik ist das Phänomen Zeit kaum zu fassen. Und schon gar nicht lässt sich erklären, wie Zeit beginnen sollte. Dieses Problem wollte Stephen Hawking – wie viele seiner Kollegen – aus der Welt schaffen, indem der Kosmos und damit auch die Zeit einfach ewig da waren.
„Schon der große griechische Philosoph Aristoteles hat geglaubt, dass das Universum keinen Anfang hatte, sondern immer bestanden hat. Der Drang, an ein ewiges Universum zu glauben, ist der Wunsch, einen göttlichen Eingriff bei der Entstehung des Universums zu vermeiden.“
Doch das ist wohl mehr eine Scheinlösung. Ein „ewiges“ Universum mag rein zeitlich keinen Anfang haben. Aber braucht es nicht gerade deswegen einen ganz besonderen Schöpfer? Guy Consolmagno, der Astronom des Papstes, ist allerdings davon überzeugt, dass unser Kosmos nicht ewig existiert hat.
„Ich weiß nicht, wie das Universum angefangen hat, aber ich weiß, dass es angefangen hat. Eine Quantenfluktuation könnte den Urknall ausgelöst haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr, sehr klein, aber es muss ja nur einmal passieren. Diese Idee hat einst Stephen Hawking vorgeschlagen. Er könnte Recht haben. Mit dieser kuriosen Idee lässt sich der Urknall erklären.“
In der Welt der Quanten ist alles ein wenig anders als in unserer aus dem Alltag vertrauten Umgebung. Quanteneffekte spielen in der Regel nur in der Welt des allerkleinsten eine Rolle. Heutzutage also im Innern der Atome. In der Quantenmechanik lässt sich nicht alles exakt vorausberechnen – vieles ist dem Zufall überlassen.
Den Lauf des Mondes oder das Aussehen einer Galaxie bestimmt im Wesentlichen die Schwerkraft. Doch unmittelbar vor dem Urknall war das Universum fast ein Punkt. Der gesamte Kosmos war so klein, dass Quanteneffekte eine riesige Rolle spielten. Vielleicht hat das „Punkt-Universum“ ganze Äonen gewartet, bis endlich die erratischen Schwankungen dafür gesorgt haben, dass die immense „Ur-Energie“ schlagartig entfesselt wurde und der Kosmos mit der Expansion begann.
Ist Gott die Schwerkraft?
„Manche sagen, am Anfang war Gott. Ich sage: Am Anfang war der Wasserstoff.“ Harlow Shapley, US-Astronom, beteiligt an der Entdeckung der Expansion des Kosmos.
„Das Lustige ist, dass Stephen Hawking meinte, man brauche keinen Gott für den Urknall, wenn man das Universum mit einer Quantenfluktuation beginnen lasse. Ihm unterlief hier ein logischer Trugschluss: Hawking sagt, Gott seit etwas, was den Urknall ausgelöst hat. Dann sagt er, dass es die Schwerkraft war. Er sagt also nicht: Da ist kein Gott. Er sagt: Gott ist die Schwerkraft!“, sagt Guy Consolmagno.
Guy Consolmagno strahlt. Stephen Hawking, der manchmal fast versessen darauf schien, die Existenz eines Schöpfers zu widerlegen, ist plötzlich einer der größten Fürsprecher. In der Tat: Die Schwerkraft ist die alles dominierende, geradezu all-umfassende Komponente unseres Kosmos.
Vielleicht haben Physiker und Theologen nur unterschiedliche Bezeichnungen für dasselbe Phänomen. Und als gäbe es nicht genügend Schwerkraft, ist der Kosmos noch mit großen Mengen einer Substanz angereichert, die grundsätzlich nicht zu beobachten ist.
Im Jahr 1933 äußert der Schweizer Astronom Fritz Zwicky erstmals die Vermutung, dass es im Weltall sehr viel mehr gibt, als die Forscher mit ihren Teleskopen zu sehen bekommen.
„Um die Geschwindigkeiten der Galaxien im Coma-Haufen zu erklären, müsste die mittlere Dichte 400 Mal größer sein als auf Grund der Beobachtung leuchtender Materie abgeleitet. Überraschenderweise ist dort Dunkle Materie wohl in sehr viel größerer Dichte vorhanden als leuchtende Materie.“
Inzwischen gehört die „Dunkle Materie“ für Kosmologen längst zum Standard-Inventar des Universums. Dunkle Materie leuchtet nicht und sie absorbiert keine Strahlung. Sie besteht aus unbekannten Teilchen, aber sie verrät sich indirekt durch ihre Anziehung auf leuchtende Sterne und Galaxien – sie ist ein Phantom und zugleich der Architekt des Kosmos.
Doch damit nicht genug: In den 90er-Jahren wollten die Forscher messen, wie die gegenseitige Anziehung der Materie – der sichtbaren wie der Dunklen – die Ausdehnung des Kosmos abbremst. Verblüfft stellten die Forscher fest, dass der Kosmos nicht bremst, sondern Gas gibt. Das Universum fliegt immer schneller auseinander – angetrieben von etwas Mysteriösem, das die Astronomen hilflos „Dunkle Energie“ genannt haben, erklärt Bruno Leibundgut von der Europäischen Südsternwarte ESO in Garching:
„Diese Dunkle Energie kommt zusätzlich zur Dunklen Materie hinzu, die schon vorher postuliert war, und für die die Physik eigentlich auch noch keine Erklärung hat. Jetzt haben wir auch noch die Dunkle Energie! Dunkle Energie und Dunkle Materie zusammen entsprechen so etwa 95 Prozent des Universums. Und die Physik hat keine Erklärung für – beide.“
Albtraum Multiversum – eine unendliche Geschichte
„Kosmologen irren oft, doch nie quält sie ein Zweifel.“ Jakov Zeldovich, russischer Kosmologe.
„Ich sehe auf einen Gott, der größer ist als 13,8 Milliarden Lichtjahre. Größer ist der Gott, der das alles gemacht hat. Die tiefe Erkenntnis der Natur Gottes und wie die Naturgesetze ineinander greifen, gibt mir ein Gespür für Gottes Persönlichkeit“, Guy Consolmagno.
Was oder wer auch immer den Urknall ausgelöst hat. Herausgekommen ist ein in vielem dunkler und völlig rätselhafter Kosmos. Das sorgt aber keineswegs für Katerstimmung unter den Forschern. Im Gegenteil: Dunkle Materie beherrscht mit ihrer Anziehungskraft das Geschehen – und die Dunkle Energie peitscht das All immer schnell auseinander.
Die Inflationstheorie und die Ausdehnung des Kosmos
Die Anhänger der Inflationstheorie sind hoch erfreut. Nach dieser Variante der Urknall-Theorie hat sich der Kosmos null Komma null, null, null – und nach 33 Nullen kommt eine eins – Sekunden nach seiner Entstehung rasend schnell aufgebläht: von mikroskopischer Größe auf das Ausmaß etwa der Erde. Danach ging die Ausdehnung im normalen Tempo weiter. Dieses „kosmische Aufstoßen“ löst ein ganz grundlegendes Problem:
„Wenn Sie weit, weit nach Westen gucken und wenn Sie weit, weit nach Osten gucken in den Raum hinaus, dann sehen Sie dort Gebiete, die nie ein Signal austauschen konnten. Und trotzdem beobachtet man da die gleichen Sterne, man misst da die gleichen Temperaturen und diese Gebiete haben offensichtlich Information gemeinsam und das verstehen wir nicht, weil sie ja noch nie in Kontakt waren.“
Andreas Tammann, Kosmologe von der Universität Basel, überblickt sein Fach so souverän wie nur wenige seiner Kollegen.
„Und ich sage das jetzt vielleicht zu persönlich, aber das Gebiet im Westen kann nicht wissen, wie heiß das Gebiet im Osten war, weil noch nie ein Lichtstrahl von einem Ort zum anderen reisen konnte. In der Inflationstheorie ist das furchtbar Schöne, vor der Inflation war das Universum klein und diese beiden Gebiete da im Westen und im Osten waren Nachbarn, und die lagen innerhalb ihres Horizontes und konnten Lichtstrahlen austauschen, die konnten sich genau in der Temperatur ausgleichen.“
So erklärt die Inflationstheorie auf ganz einfache Weise, dass der Kosmos in alle Richtungen in etwa gleich aussieht. Zudem erklärt sie, wie Sterne und Galaxien entstanden sind. Minimale Schwankungen im Quantenbereich sind während der Inflation zu großen Gebieten mit etwas mehr oder etwas weniger Materie angewachsen.
Wären Materie und Strahlung im anfänglichen Einheitsbrei perfekt gleichmäßig verteilt gewesen, hätten sich nie die kosmischen Strukturen ausgebildet. Dann gäbe es heute keine Galaxien, keine Sterne, keine Planeten – und keine Menschen. Die Inflationstheorie, aufgestellt 1980, hatte so etwas wie die Dunkle Energie vorhergesagt.
Allerdings ist das nicht wirklich ein Trost, räumt ihr Schöpfer Alan Guth ein: Das Ungewöhnlichste an der Dunklen Energie sei, dass es so wenig davon gebe, betont der Kosmologe vom Massachusetts Institute of Technology. Wenn man theoretisch abschätzt, wie viel Dunkle Energie es im Kosmos geben sollte, erhält man ein ganz anderes Ergebnis.
Nach der Vorhersage müsste es von der Dunklen Energie 120 Größenordnungen mehr geben, als sich aus den Beobachtungen ableiten lässt. 120 Größenordnungen heißt: Eine Eins mit 120 Nullen. Um diesen Faktor ist die gemessene Dunkle Energie kleiner als der vorhergesagte Wert. Doch zu süß schmeckt die Theorie der kosmischen Inflation, zu verführerisch ist ihre mathematische Eleganz, zu beherrschend ist sie seit vielen Jahren, als dass die Astronomen von ihr lassen wollten. So wird die schlechteste Vorhersage aller Zeiten kreativ umschifft.
„Die Inflationstheorie sagt voraus, dass es nicht nur ein Universum geben sollte. Derselbe Mechanismus, der unser Universum hat entstehen lassen, sollte viele weitere Universen, also ein Multiversum, hervorbringen.
Zudem gibt es nach der Stringtheorie, die viele für die grundlegendste Art halten, unsere Welt zu erklären, nicht nur eine Dunkle Energie, sondern etwa zehn hoch 500. Das ist eine Eins mit 500 Nullen. Eine verrückte Zahl. In diesem Multiversum käme die Dunkle Energie überall und in unterschiedlichen Stärken vor. Menschen, die über die Dunkle Energie nachdenken, entstehen aber nur dann, wenn die Energie sehr klein ist.“
Wäre die Dunkle Energie viel größer, würde das All viel schneller auseinander fliegen – und es wären nie die Galaxien mit den Astronomen entstanden, die sich heute über die so winzig kleine Dunkle Energie wundern.
Auf gut Deutsch: Das Universum ist eben so, wie es ist, weil es so ist, wie es ist. Basta! Nach dieser Theorie sind beim Urknall Universen in einer Art Massenproduktion entstanden. Für Neil Turok klingt das allzu fantastisch:
„Für mich ist das eine schnelle Lösung, die nichts bringt. Denn die Inflation erklärt nicht den Urknall, den Moment, in dem alles seinen Anfang nahm. Zudem sind viele Annahmen völlig willkürlich, aber sonst bekäme man die schnelle Expansion nicht hin. Die Theorie lässt sich praktisch an alle Beobachtungen anpassen.“
Eine gute Theorie macht Vorhersagen, die sich entweder durch Beobachtungen bestätigen oder widerlegen lassen. Widerspricht ein Phänomen der Theorie, so müssen die Forscher sie anpassen. Aber eine Theorie, die alles erklären kann, ist nicht flexibel. Sie ist beliebig – und erklärt nicht alles, sondern nichts.
Was auch immer und wann auch immer am Anfang oder beim Neustart der Welt passiert ist. Andreas Tammann empfiehlt den Forschern etwas mehr Demut:
„Letztlich, glaube ich persönlich, wird man das Universum überhaupt nie verstehen können. Der Urknall selber, mit dem das Universum anfing, wird letztlich immer eine Hypothese bleiben und wir werden auch zum Beispiel nie die Frage beurteilen können, ob das Universum endlich oder unendlich ist. Es gibt also Fragen, von denen ich glaube, die uns für immer verweigert sind.“
Eine kleine blaue Kugel treibt durch die unermesslichen Weiten des Kosmos. Bevölkert von Menschen, von denen viele meinen, sie könnten alles enträtseln. Ist das Naivität oder Größenwahn?
Jeder Blick an das Firmament, jede Beobachtung in den Tiefen des Alls rückt die Verhältnisse zurecht und fast hört man Sterne und Galaxien über den Eifer der Astronomen lachen. Und so sind für Guy Consolmagno, Astronom und Jesuit, Wissenschaft und Religion kein Widerspruch, sondern untrennbar verbunden.
„Es ist nicht so, dass mir die Wissenschaft die Antworten auf die Fragen liefert, die ich in der Religion habe und umgekehrt. Aber beide geben mir den Grund, mich mit dem jeweils anderen zu beschäftigen. Die Wissenschaft ist für mich ein Spielplatz, auf dem ich Gott begegne und mit ihm spiele.“
Quelle: deutschlandfunkkultur.de