Es sieht aus wie ein Garten, nur eben hochkant: Etwa fünf Meter ragt das Pflanzenbeet auf dem Campus des Europäischen Energieforums in Berlin-Schöneberg empor. Aus insgesamt 1682 kleinen Töpfen strecken sich grüne Blätter der Sonne entgegen. Was hier wächst, soll die Luft so gut reinigen wie Hunderte von Bäumen: Moos, das sonst in ihrem Schatten gedeiht.
CityTree nennt sich die Erfindung von Peter Sänger, Dénes Honus, Victor Splittgerber und Liang Wu.
Die Jungunternehmer – ein Biologe, ein Architekt, ein Maschinenbauer und ein Medieninformatiker – gründeten vor drei Jahren Green City Solutions (GCS). Kurz darauf entstand der erste CityTree: eine Grünanlage mit sehr hoher Filterleistung, die sich selbst versorgt. „Dafür haben wir Sensoren eingebaut“, sagt Wu. Sie messen, wie viel Wasser die Pflanzen brauchen. Den Strom dafür liefern Solarzellen auf der Dachfläche. Die Technologie im Inneren des CityTrees, die mit dem Internet verbunden ist, verteilt gesammeltes Regenwasser aus einem Tank. Ist er leer, sendet der CityTree ein Signal, etwa an die zuständigen Stadtwerke.
Die Idee entstand durch persönliche Erfahrungen. Wu, der in Schanghai geboren wurde, arbeitete 2011 mehrere Monate in China. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Der Arzt diagnostizierte Asthma. „Die Luft ist dort furchtbar schlecht, aber weil es ein Dauerzustand ist, bemerkt man es gar nicht mehr“, sagt der 32-Jährige.
Das Problem gibt es nicht nur in China. In Deutschland sterben jährlich mehr als 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung, schätzt das Bundesumweltamt. Erst im Februar hat die EU-Kommission das Land verwarnt: Die Grenzwerte für Stickstoffoxide seien in 28 Gebieten anhaltend überschritten worden. In Städten liegt das vor allem an Diesel-Fahrzeugen.
„Ein einziger CityTree kann in einem Jahr die Abgase von 267 Autos neutralisieren“, sagt Wu. Das funktioniert, weil Moose ihre gesamten Nährstoffe über die Blattoberfläche aufnehmen und nicht – wie die meisten Pflanzen – über ihre Wurzeln. Stickstoffoxide und Feinstoffpartikel, die sich auf den Moosen ablagern, werden zu Biomasse: Das Moos frisst die Giftstoffe.
25.000 Euro kostet ein CityTree, er wächst platzsparend senkrecht an Wänden – perfekt für die Stadt, wo die Belastung am höchsten ist. „An Interessenten mangelt es nicht“, sagt Wu. Denn außer sauberer Luft bekommen Abnehmer eine Werbefläche und wertvolle Daten. Die Sensoren speichern nicht nur Wetterinformationen – sie registrieren auch, wie viele Menschen sich in ihrer Nähe aufhalten.
Für die Idee erhielt GCS zahlreiche internationale Auszeichnungen, 2016 erreichte es den fünften Platz unter den „Top Start-ups“ in Deutschland. CityTree reinigt mittlerweile die Luft unter anderem in Dresden, Paris, Oslo und Hongkong. Während die Gründer den Prototyp noch selbst finanzierten, schreiben sie seit dem vergangenen Jahr Gewinn. Heute beschäftigen sie 32 Mitarbeiter. Das ist den Unternehmern aber noch lange nicht genug. Im Juni stellten sie das Projekt in Südkorea vor: „Wir wollen den asiatischen Raum retten“, sagt Wu und lacht.
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 11/2017 des National Geographic Magazins und wurde von unserplanet.net überarbeitet und ergänzt.